Tipps zur Ernährung am Marathontag

Der Motor schnurrt. Meine Finger trommeln im Takt von Bon Jovis „It’s my life“ auf dem Steuerrad. Plötzlich leuchtet eine Warnlampe: Der Tank ist leer. In einer Selbstverständlichkeit biege ich in die nächste Tankstelle ein, noch bevor mein kleiner Flitzer auf die Reserve zurückgreifen muss. Ich weiss auch, nach welchem Treibstoff sein Motor lechzt und kenne – aus eigener Erfahrung – die verheerenden Folgen eines Missgriffs. „Keine Experimente am Wettkampftag!“ Die Warnung von Ernährungswissenschaftler Christof Mannhart ist deutlich.

Bei einer Leistung, wie sie der Big Apple von mir abverlangen wird, leeren sich vor allem die Kohlenhydrat- und Wassertanks meines Organismus. „Wie viel auf der Strecke bleibt hängt von der Schweissbildung ab“, so Mannhart. Flüssigkeit ist dabei das Öl, welches den Motor am Laufen hält, Kohlenhydrate das energiespendende Benzin. Und ähnlich wie bei meinem Flitzer, ist der Verbrauch von „Modell“ zu „Modell“ verschieden. Eines haben indessen alle gemeinsam: Ohne Treibstoff geht gar nichts. „Ist der Kohlenhydrattank leer, kommt die berühmt-berüchtigte Wand“, sagt Laufsportspezialist Markus Ryffel. Die Folge davon sei, dass der Läufer unweigerlich den Fuss vom Gaspedal nehmen müsse. Dagegen gebe es zwei Mittel: „Vom ersten Meter an vernünftig mit dem Tempo umgehen und regelmässig ans Tanken denken.“

Der Körper ruft den Notstand aus

Je nach Luftfeuchtigkeit, Temperatur und Belastungsintensität kann ich auf den 42,195 Kilometern sechs bis acht Liter Flüssigkeit ausscheiden. Diese bezieht mein Organismus zuerst aus dem Blut, dann aus dem Zwischenzellbereich und am Schluss aus den Zellen. Wie mein Flitzer, verliert mein „Chasis“ dann an Leistungsfähigkeit. Das flüssigkeitsarme, dickere Blut fliesst langsamer, dadurch wird mein Herz bei gleicher Belastung viel härter arbeiten müssen, damit ausreichend Sauer- und Nährstoff in die Muskeln gelangen. Sie sind es, die in einer solchen Situation erste Priorität geniessen – damit die Koordination stimmt, kommt auch das Hirn in den Genuss meines „Notaggregats“. „Sämtliche anderen Aktivitäten fährt der Organismus zurück.“

In New York wird er also den Notstand ausrufen. Genauso selbstverständlich, wie ich den Tank meines Flitzers fülle, gilt es also auch den eigenen auf der Strecke regelmässig aufzufüllen. Während Viktor Röthlin durch die fünf Stadtteile seine individuelle Mixtur haben wird, muss ich mit dem klar kommen, was die Veranstalter anbieten. „In New York ist das Gatorade. Sie müssen unbedingt vorher ausprobieren, wie Sie darauf reagieren.“ Wehrt sich mein Magen gegen dieses Sportgetränk, schlägt mir Mannhart vor auf Gel und Wasser, Riegel und Wasser oder Datteln, Baslerläckerli und Wasser auszuweichen. „Auch so machen Sie den beachtlichen Kohlenhydrat- und Wasserverlust einigermassen wett.“

Massvoll – auch mit dem Wasser

„Immer wieder gibt es vor allem Frauen, die zu viel trinken“, hebt Mannhart den Mahnfinger. Männer hätten die Tendenz ihren Durst zu ignorieren, um schneller anzukommen und so zu dehydrieren. „Frauen sind körperbewusster und trinken fleissig.“ Geschehe dies exzessiv, nehme ihr Körper das Wasser zwar auf, könne es aber in der Stress-Situation nicht ausscheiden.

„Er speichert es.“ So gelangt die Flüssigkeit ins Blut, später in die Organe. Eine Wasservergiftung tritt mit ähnlichen Symptomen wie die Dehydratation auf – schwindel, Übelkeit, Erbrechen – und kann tödlich enden. „Ungefähr 10 Sportler lassen weltweit jährlich deswegen ihr Leben.“

Wie es sich auswirkt, wenn der Körper zu wenig Flüssigkeit erhält, musste die Schweizerin Gabriela Andersen-Schiess am ersten olympischen Marathon der Frauen im Jahr 1984 erfahren – ihr bewegender Rückblick:

Wenn die Aufregung den Hunger bezwingt

Genauso wie mein Flitzer für lange Ausfahrten gewappnet sein will, gilt es in den Tagen vor dem Lauf die Kohlenhydratspeicher zu füllen und über den Durst zu trinken. „Auch die letzte Mahlzeit hat grossen Einfluss“, weiss der Ernährungswissenschaftler.

Weil aber so kurz vor dem Marathon die Aufregung den Hunger niederringen könnte – legt er mir Babybrei, Salzstängeli und Weissbrot ans Herz. „Es muss leichtverdauchlich sein, denn auch der Magen wird seine Leistung einschränken.“

Nach dem Lauf geht die Arbeit weiter

Mit dem letzten Meter wird für meinen Körper der Lauf noch lange nicht zu Ende sein. Dann geht es an die Regeneration. „Warten Sie auf keinen Fall mit der ersten Tankfüllung, wichtig sind so schnell wie möglich Flüssigkeit, Salz, Kohlenhydrate und Eiweiss.“ Es gilt die sämtliche Funktionen nach und nach wieder in Betrieb zu nehmen.

Denn auch das Immunsystem hat der Organismus auf ein Minimum reduziert. „Sie sind dann Freiwild für Infekte.“ Zudem werde sich der Kater dadurch nicht gar so lange in meinen Muskeln festkrallen. Mannhart: „Nach dem Ziel können komische Gelüste aufkommen.“ Weil aber das Notaggregat des Körpers noch immer für die Energiezufuhr verantwortlich zeichnet, rät er mir: „Was auch immer für Gelüste Sie im Ziel haben mögen, verzichten Sie beispielsweise auf Bratwurst oder Salat.“ Mein Körper würde dieselbe mit „return to sender“ beschriften.

(publiziert auf http://www.tages-anzeiger.ch)

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